In 80 Tagen um die Welt. 10 Jahre Zenita City.
Nathalie Hoyos
Irgendwo zwischen Alice im Wunderland und In achtzig Tagen um die Welt müsste es sein: Zenita City. Über ein Wurzelbild gestolpert, hinter der Türe die goldene „traurige Türschnalle“ erblickt, kann man die Konturen verschwommen erheischen und dann ist es eigentlich schon zu spät, sich dem Sog des komadschen Universums zu entziehen. Was erwartet einen dort? Stadt, Land, Fluss? Verheißungen, ungeahnte Möglichkeiten, gebrochene und ungebrochene Versprechen, eine Bild- und Textwelt, zu Kartenhäusern montiert, die Schutz, Geborgenheit aber auch Vergänglichkeit und Fragilität demonstrieren – einfach Zenita City?
Ist die Falltüre erst mal geöffnet und man selbst auf die andere Seite gekippt, stellt man fest, dass dieses Universum von einigen Dauergästen bevölkert ist. Immer wieder tauchen sie in den Werken auf, so als wäre die Arbeit an ihnen noch nicht abgeschlossen – als wäre noch nicht alles gesagt. Oft sind es Frauen: Vorbilder, verwandte Seelen, die mit ihrem Leben, ihrer Geschichte eine anhaltende Faszination auf Zenita Komad ausüben. Eine der ständigen Begleiterinnen ist Maria Callas – was vor dem Hintergrund der Biographie Zenita Komads nicht weiter verwundert, ist sie doch als Tochter einer Opernsängerin auf den Brettern, die die Welt bedeuten, aufgewachsen; die Grenzen zwischen Tragik und Komik, Realität und Fiktion spielerisch auslotend. Die Serie der Callas-Bilder wird von Portraits der Operndiva dominiert, besonders ausgeprägt sind jeweils Mund und Augen, gleichsam als Spiegel des Seelenlebens. 1997 entsteht das erste Callas-Bild. Die Diva blickt uns an, Seile, die an der Leinwand herunterhängen, nicht in unmittelbarer Berührung mit ihr, mahnen an die Zwänge, die einen zu fesseln drohen. Der mit blutrotem Lippenstift verschmierte, übermalte Schmollmund zieht seine Spuren über die Leinwand und findet sich in großen Klecksen an Händen und Kleidung wieder. Durch das Antlitz weiße Streifen, wie die Balken eines Fensters, durch dessen Glas die Diva, den Kopf in die Hände gestützt, die Außenwelt betrachtet. Ein Jahr später abermals ein Portrait von Maria Callas, die Primadonna gefangen in einem goldenen Käfig. Den Blick duldsam und sehnsüchtig zugleich aus diesem beengendem Käfig nach außen gerichtet, so als schiene eine Befreiung, wenn schon nicht nahe, dann zumindest gesichert. Und tatsächlich, etwas später, 2004, begegnen wir einer neuen Callas: ganz stilisiert, eine Mischung zwischen Popikone und Abklatsch ihrer selbst vor einem rosa Hintergrund. Die Message politisch: „After Oil, they’ll fight for Water“. Ein Wasserrohr entwächst ihrem Kopf, daraus ergießt sich ein Wasserstrahl über ihr Gesicht. Tränen fließen aus den Augen und eine rote Pistole legt sich wie ein Balken über ihren nicht sichtbaren Mund. Eine gewisse Ohnmacht, die in einem weiteren Bild der Diva 2006 gar nicht mehr zu finden ist: Mit forderndem Blick, der durch einen dreidimensionalen roten Pfeil, der auf die Stirn der Callas weist, noch verstärkt wird, schält sich das Gesicht der Künstlerin selbstbewusst aus der schwarzen Leinwand heraus. Die Serie der Callas-Bilder verdeutlicht einen interessanten Aspekt in Zenita Komads Werk: Die Leinwände verselbständigen sich und wachsen in den Raum. Sie scheinen die Grenzen der Leinwand sprengen zu wollen, um sich die dritte Dimension zu erobern.
Einen weiteren Bildzyklus widmet Komad seit Jahren Louise Bourgeois. Als Vorreiterin, Kämpferin in einer vor allem zu ihrer Zeit männerdominierten Kunstwelt, die trotz des späten Erfolges immer produzierte und durchhielt, ist sie ein nahezu unverzichtbarer Teil von Zenita City. „I can’t make you love me if you don’t“, steht als Text unter Louise Bourgeois (1999) – die Bourgeois blickt dem Betrachter mit giftgrünem Pony schelmisch lächelnd und wissend entgegen. Rundherum freischwebend kleine rote Herzen. Die Erkenntnis scheint der Protagonistin nichts anzuhaben – im Gegenteil, das weise, faltendurchsetzte Gesicht strahlt Milde, Ruhe und Gelassenheit aus, als wenn ihr die Unbilden der Welt nichts mehr anhaben könnten. Und trotzdem wirkt sie der Welt nicht entrückt, sondern ganz nah und präsent. In allen Louise Bourgeois-Bildern kehrt dieses Lächeln wieder. 2005 ganz in Schwarz, stellt die Grande Dame die Gretchenfrage: „Spielen Sie schon, oder kämpfen Sie noch?“ Die Buchstaben bilden, wie oft in Komads Arbeiten, ein Bild im Bild und verleihen dem Inhalt eine zweite Ebene und Dynamik. In diesem Fall dünkt es einen, als wollten die vertikalen und inversierten, kippenden Buchstaben einen zusätzlich narren, auf liebevoll spielerische Weise, als ginge es darum, dem Kampf die Schwere zu nehmen.
Komads Œuvre funktioniert in Zyklen. Ein Werk bedingt das nächste und treibt es weiter voran. So ist man wenig überrascht, wenn Madame Sensible (2006), alias Comtesse de Broglie, die einem Bild von Dominique Ingres entnommen ist, wiederum an die Arbeit Louise Bourgeois aus the sky is No limit! (2006) anschließt, und zwar mit der entgegengesetzten Message: the sky’s the limit. Auf diese Art und Weise kommunizieren die unterschiedlichen Figuren in Zenita Komads Arbeiten auch untereinander und bilden ein großes Ganzes.
Das Experiment Malerei, erweiterter Malerei, ist bei Komad eng mit der Suche nach dem Sinn, der Erleuchtung, verwoben. Die Texte sind so betrachtet auch eine Stütze auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Daseins, des Wirkens und Waltens. In Erleuchtung (1998) drängt sich ein gelber Lampenschirm mit einer überdimensionalen Glühbirne in den Kopf einer jungen Frau, die, von der Erleuchtung förmlich niedergedrückt, die scharfen Konturen ihres Gesichts verliert. Alles verschwimmt und löst sich auf, das Gesicht wird dadurch unkenntlich. Neun Jahre später das gegenteilige Szenario – und ein Selbstportrait. Das Gesicht der Künstlerin als Glühbirne blickt uns erleuchtet entgegen – während in der ersten Fassung die Erleuchtung von oben kam, ist die Bestrahlung in der zweiten Fassung nicht mehr notwendig. Sie kommt offenbar von innen heraus. Gefühle wie Ohnmacht, Gefangenschaft, aber auch Befreiung, Erleuchtung und Verheißung stehen in den Werken dicht nebeneinander. Wie am Theater und in der Oper geht es der Künstlerin um die Ergründung und Bewältigung der gesamten Bandbreite menschlicher Gefühle. Es gelingt ihr diese Themen zu berühren, ohne ins Pathos zu fallen, denn ihre Bildbotschaften beinhalten in den meisten Fällen auch eine humoristische, ironische und spielerische Note, die die Schwere und Melancholie mühelos relativieren. Es ist ein wenig so, als wolle uns die Künstlerin die Geschichte mit dem halbvollen und dem halbleeren Glas vor Augen führen – sie lässt dem Betrachter die Wahl offen und zeichnet nur die unterschiedlichen Wege auf. Und wenn einen auf den Rundwegen in Zenita City ein Warten-auf-Godot-Syndrom beschleicht, sollte man sich daran erinnern, dass auch eine andere Möglichkeit besteht: nämlich Back in a minute Godot (2000?).