im weihrau(s)ch
markus mittringer
und dann hat mich dieses orakel auf mich selbst zurückgeworfen, mich gefragt, ob meine leidenschaften auch meinem glück dienen würden, ob ich denn auch meines herzens mächtig wäre, und: „fühlst du dich betroffen?“
gut, so ein orakel ist kein bankomat, der meinen status innerhalb oder außerhalb des rahmens immer präzise – je nach dem – durch freizügigkeit oder verweigerung bestätigt. auch dass die wahrheit stets als ein vieles auftritt und deshalb zunächst durch einen mangel an geborgenheit auffällt, ist klar. und: ich habe das orakel befragt, mir war nach einem zeichen, nach hinweisen, wie der grund richtig zu bestellen wäre, auf dem meine künftigen entscheidungen fallen würden. die in den tempel mitgebrachte hoffnung, alles wäre ohnehin richtig gewesen, alles würde sowieso gut gehen, hat sich nicht erfüllt. so ein orakel bestätigt nichts.
„werde landwirt, ernte sterne!“, hat es mir ausgerichtet. das gefällt mir: säen, pflegen, warten, ernten. gut! und dazu täglich eine nasenspülung, das leuchtet ein, der pfeffer auf den schleimhäuten schärft die wahrnehmung, und sicher auch fördert die tägliche feldarbeit irgendwann die innere stille zutage, die zu erlangen ein meilenstein am weg zum höchsten sein soll.
will ich dort hin? werde ich mich wohl fühlen mit jenem schlüssel in der hand, der alles öffnen soll, der jeden gegenstand, der jede alltägliche erscheinung zur offenbarung werden lässt? bin ich willens, ein schwert bei mir zu tragen, das mich aufgehen lässt in einem großen ganzen? will ich allen ernstes teilhaben um den preis, nicht nur sorgsam eingeübte, sondern auch lieb gewonnene analyseverfahren aufzugeben? will ich mich künftig vom umfeld nicht mehr unterschieden wissen? will ich in der tat die objekte nicht mehr als vorwürfe betrachten, um derart mehr über sie, über ihre eigenschaften und eigenheiten in erfahrung bringen zu können? will ich mir meine eigenen gebote zurechtlegen, den traum vom fremden ritter aufgeben, jedes baumes geschichte teilen? und wie kann ich meine seele wandern lassen, ohne zugleich damit müll zu vererben?
jedenfalls hat mich die karte „14“, die ich zuletzt am eingang zum orakel gezogen habe, ganz schön in verlegenheit gebracht: „stell’ dich aufrecht hin und sprich folgende formel drei mal laut aus: ,ich bin vollkommen frei!’“ ich soll das tun? für mich!?
gibt es keine andere möglichkeit zu ergründen, was es ist, das „ich“. muss dazu im kultraum eine formel laut skandiert werden, muss dazu die brille abgelegt, der apparat ruhiggestellt, das fernrohr verpackt, die säge beiseite gelegt werden? hilft einem da kein witz aus der patsche, soll ironie plötzlich zahnlos und polemik unscharf sein. vernebelt dialektik plötzlich alles? ist es gefährlich, wie karte „80“ eindringlich nahelegt, wenn erinnerung selbsttätig wird, und mir just in jenem moment, da mir das öffentliche schlüsseltragen und mantrasummen peinlich ist, lautstark eine der großen hymnen meiner generation aus der kehle fährt?
im zweifel für den zweifel das zaudern und den zorn im zweifel fürs zerreißen der eigenen uniform
im zweifel für den zweifel und für die pubertät
im zweifel gegen zweisamkeit und normativität
im zweifel für den zweifel und gegen allen zwang im zweifel für den teufel und den zügellosen drang
im zweifel für die bitterkeit und meine heißen tränen bleiern wird mir meine zeit und doch muss ich erwähnen
im zweifel für ziellosigkeit
ihr menschen, hört mich rufen im zweifel für zerwürfnisse und für die zwischenstufen
weisen tocotronic den falschen weg? waren camus und sartre, kubrik und tarantino, dexter und die sopranos die falschen früchte am erntewagen? irrt der desperado? welchen sinn macht es, „das lied vom tod“ zu spielen, wenn danach erst recht etwas kommt?
oder: gibt es eine paradoxe weihrauchreaktion? wie sonst wäre zu erklären, dass ein hochamt mit heilkräutern zu aller erst unbehagen evoziert? dass das „und allen anderen“ im rücken angesichts des „ich verzeihe mir“ in der apsis zum dunklen griechischen chor wird, der seine position wechselt, sobald man sich im fluchtreflex zum nordtor wendet. er brennt dann das „ich verzeihe mir“ ins stammhirn, während man an „allen anderen“ vorbei nach draußen ins licht rennt. in eine welt mit festen regeln, in die geborgenheit der gebote von fremden: „das rauchen im klosterhof ist verboten!“
ich will jetzt niemanden umarmen, kein holz hacken, kein wasser tragen. nicht für mich, nicht für jemanden anderen, nicht für den ewigen fluss, nicht für den lauf der dinge. ich will jetzt keine erkenntnis. ich will kitsch, will mich endlich delegieren können, befreit sein vom suchen. ich will, dass das glück mich findet – und daran zweifel hegen. letzter besuch: die „102“ gezogen und gleich darauf meine position im feld eingenommen. widerwillig den schlüssel gepackt. stocksteif dagestanden. der festen absicht, mich mir nicht wegnehmen zu lassen. voll des zorns über die zumutung, womöglich der auserwählte zu sein. überzeugt davon, mich nicht aus der fassung bringen zu lassen. gewappnet gegen all die edlen gedanken, die die meinen unterminieren wollen. schwer bewaffnet.
„könntest du für mich eine ausnahme machen?“, hat das orakel gefragt. und mir entwich ein leises: „ok!“
ich habe mich dann eingerichtet, mit meinen gedanken meine welt möbliert, einen massiven tisch ersonnen. er ist holz geworden und prägt mich dankbar zurück. ich habe mein haar geschoren und verweile, warte gespannt, welche transformation meiner selbst der tisch sich als nächste ausdenkt. staub wärmt mein kahles haupt. ich fühl’ mich endlich eins mit meinem gefängnis.
manchmal sehe ich mich in bekkis film um die eigene achse rotieren und sätze in alle himmelsrichtungen senden. den bogen, der mich rahmt, zu überschreiten, aufzustehen, zu handeln, wäre eine möglichkeit. eine von vielen. vielleicht ja bin ich in zwanzig, dreißig jahren soweit, mit dem studium der kabbala zu beginnen.